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Nora hasst die Einsamkeit
Die junge Wölfin Nora verstand ihre kleine Welt nicht mehr.
Was war nur mit der Mutter los? Schon seit Tagen bedrohte sie die
Tochter, sobald sie in ihre Nähe kam. Nora klemmte ängstlich
den Schwanz zwischen die Hinterbeine und warf sich unterwürfig
auf den Rücken. Aber sie konnte der Mutter kein Schwanzwedeln
entlocken. Mit gefletschten Zähnen stand die Wölfin über
ihr und hörte erst auf zu knurren, wenn sie sich kriechend
entfernte.
Dabei war Nora die einzige Überlebende aus ihrem letzten Wurf.
Die drei Brüder hatten den Winter nicht überstanden. Zum
Rudel gehörten jetzt, außer Nora und ihren Eltern, nur
noch die älteren Brüder Falko und Welf. Normalerweise
gab es kaum Streitereien in der kleinen Familie, doch seit Mitte
Februar herrschte plötzlich eine beinahe unerträgliche
Spannung zwischen Mutter und Tochter.
Eigentlich hätten die Wölfe aufatmen können. Die
Sonne vertrieb mit einer erstaunlichen Kraft die Kälte der
letzten Monate und erweckte die Tiere des Waldes zu neuem Leben.
Besonders der Januar war für das Rudel sehr hart gewesen. Selten
stiegen die Temperaturen über minus zehn Grad und fast jede
Woche wurde die Schneedecke höher. Natürlich machte Kälte
den Wölfen nicht viel aus, doch die Suche nach Beute war im
tiefen Schnee beschwerlich. Außerdem hatte ein Hirsch im Dezember
Noras Vater am rechten Hinterbein verletzt. Seine Wunde heilte schlecht
und platzte oft wieder auf.
Der Vater schonte sich nicht. Er wusste, dass seine Familie ihn
brauchte. Falko, Welf und seine Partnerin konnten selbst für
sich sorgen, aber der Nachwuchs vom Frühjahr würde nur
in einem starken Rudel überleben können. Also versuchte
der Vater seinen Schmerzen keine Beachtung zu schenken. Doch trotz
aller Anstrengungen war er nicht mehr so schnell wie früher.
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